Seit Anfang September des letzten Jahres treffen sich jeden Mittwoch frühmorgens um 9.15 Uhr acht bis zehn Herren im besten, also aller-, allerbesten Alter mit einem ganz jungen Diplomsportlehrer zum Krafttraining.
Die Stunde beginnt zunächst ganz sanft und harmlos. Wir gehen im Kreis, heben gelegentlich mal das linke, dann das rechte Bein; dann legen wir die rechte Hand auf das erhobene linke Knie, dann andersrum, den Rücken aber immer gerade, den Kopf hoch, die Arme gestreckt, wobei wir gleichmäßig ein- und ausatmen. Doch bald werden die Übungen schwieriger und anspruchsvoller: z. B. „Linke Ferse an rechtes Ohr“ (eine meiner Lieblingsübungen) und andere noch weit kompliziertere. Nach einer halben Stunde haben wie alle 656 Muskeln, die jeder Mensch besitzt, mindestens einmal betätigt, d. h. gestreckt, gedehnt und gespannt. Man glaubt gar nicht, wo überall im menschlichen Körper sich unauffällig Muskeln versteckt haben. Übrigens haben weibliche Wesen dieselbe Anzahl von Muskeln wie männliche, wenn auch mitunter attraktivere.
Einmal schaute durch Zufall meine Frau in diesen Raum, und als ich sie fragte, was sie gesehen habe, sagte sie: „Ich kann es nur mit Goethes Worten ausdrücken: ‚Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein, Gebärden, da gibt es vertrackte’. “
Doch „tempora mutantur, nos et mutamur in illis“.
Im Laufe der Wochen wurden wir lockerer, gelenkiger und schwungvoller. Wurden wir anfangs von unserem Zuchtmeister noch mit den Worten empfangen „Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten“ (Faust; v. 1), so erinnert jetzt der morgendliche Gruß unseres Profitrainers eher an Schillers „Wohl auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen!“ Jetzt machen die Übungen richtig Spaß. Die Anweisungen unseres Meisters klingen viel aufmunternder, wie beim Navigationssystem im Auto: „Wenn möglich, bitte bewegen!“ Und wir bewegen uns auch viel geschmeidiger. „Einmal hin, einmal her, linksherum das ist nicht schwer.“ Leider müssen wir das aber ohne Musik und auch ohne Gretel machen. Ich weiß nicht, was wir an unserem Meister mehr loben sollen, die Vielfalt der Übungen, die perfekte Präsentation oder seine unendliche Geduld?
Letztens sagte meine Frau, als sie uns wieder einmal beobachtete: „ Ihr seht jetzt richtig anmutig aus, wie ihr da steht. Nietzsche muss euch vor Augen gehabt haben, als er seinen Zarathustra treffend sagen ließ: ‚…Siegreiche…Selbstbezwinger…
Gebieter der Sinne…..rechtwinklig an Leib und Seele.’“
Unser Trainer, Herr Meyer-Brenken, hat uns auch gelehrt, uns artgerecht und residenzangemessen zu bewegen. Früher gingen wir einfach zum Essen, setzten uns hin, aßen, und nach dem Essen standen wir auf und gingen auf unsere Zimmer. JETZT ABER begeben wir uns in den Speisesaal, lassen uns am Esstisch nieder und nehmen die Speisen zu uns. Nach dem Mahl erheben wir uns und ziehen uns in unsere Gemächer zurück.
Und so soll auch diese Veranstaltung im nächsten Jahr nicht mehr nur „Krafttraining…“ heißen, sondern umbenannt werden in (Lessing wird es verzeihen): „Erziehung des Menschengeschlechts“.
Autor: Karl Mrzyk, Senior der Residenz
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