Heute am 26. April 2017 ist ihr großer Tag. Erika Reimann wird 100 (!) Jahre alt. 1917, also während des ersten Weltkrieges, ist sie in Halle an der Saale geboren. Ich traf Frau Reimann zu einem Gespräch in ihrer Wohnung – bei selbst gebackenen Eiserkuchen.
Frau Reimann, wie fühlen sich die fast 100 Lebensjahre an?
„Morgens beim Aufstehen denke ich: „Was ist das Leben jetzt doch anstrengend!“ Aber dann, nach meiner Morgentoilette, fühle ich mich fit für den Tag. Natürlich geht alles langsamer und es fällt mir Vieles schwerer: Das Waschen, das Ankleiden, das Frühstück zubereiten; eigentlich alles; besonders das Laufen. Ohne meinen Rollator komme ich nicht mehr von der Stelle, denn ich muss mich beim Laufen abstützen können. Aber mit ihm klappt es zum Glück gut!
Wie kommt es, dass Sie mit fast 100 Jahren noch so fit sind?
„Ich habe immer Gymnastik gemacht und ging über zwei Jahrzehnte zweimal wöchentlich zum Senioren-Tanzen; zu Lebzeiten meines Mannes gemeinsam mit ihm und seit er verstorben ist, eben alleine. Regelmäßige Bewegung war mir immer wichtig. Hier in der Residenz habe ich dazu viele Möglichkeiten gefunden: So gehe ich – jetzt schon seit über zehn Jahren – fast regelmäßig dreimal (!) die Woche zur Sitzgymnastik hier im Haus. Vor Weihnachten musste ich allerdings krankheitsbedingt pausieren. Und zurzeit gehe ich nur einmal wöchentlich hin; aber ab nächste Woche baue ich mein Pensum wieder auf. Mindestens zweimal die Woche zur Gymnastik lautet mein Ziel!“
Haben Sie noch weitere Ziele?
„Ich möchte – wenn möglich – meinen jetzigen Zustand erhalten. Dafür bin ich gerne bereit das Nötige zu tun. Denn mir sind meine täglichen Spaziergänge viel zu wichtig. Wenn die Sonne scheint, lasse ich dafür sogar auch mal mein Mittagschläfchen sausen. Ich liebe es sehr, bei Sonnenschein die Luft zu schnuppern. Meistens spaziere ich zur Promenade, zum Kinderspielplatz an der Coerdestraße. Dort habe ich so viel Freude. Es ist so ein Spaß die Kinder zu beobachten. Zurzeit sehen sie alle aus wie kleine Heinzelmännchen – so warm wie sie eingepackt sind. Was gibt es heute doch für niedliche Kinderkleidung! Die gab es früher nicht.
Genauso wichtig ist mir aber, auch geistig auf der Höhe zu bleiben. Deshalb besuche ich alle Veranstaltungen im Haus. Ja, ich versuche wirklich jeden Vortrag, jedes Konzert und jede Feier mitzubekommen. Dabei dürfen der wöchentliche Singkeis und meine Doppelkopfrunden nicht fehlen. Zum einen, weil es mir prima Unterhaltung bietet- und zum anderen hält es mich ganz einfach auch fit. Die Silvesterfeier zum Beispiel habe ich mit viel Freude bis zum Ende genossen. Schließlich wollte ich ja mit meinen Mitbewohnern auf das Neue Jahr anstoßen! Nur die vom Haus organisierten Reisen, die kann ich nicht mehr mitmachen. Dafür fällt mir das Laufen dann doch zu schwer. Zum Glück klappt es aber noch mit meinen Besuchen – gemeinsam mit meiner Tochter – ins Theater. Das liegt ja direkt nebenan.
Mein Problem ist ein ganz Anderes: Die Tage sind zu kurz! Sie werden gefühlt immer kürzer, weil die tägliche Bewältigung des Alltags mehr Zeit in Anspruch nimmt. Zum Zeitungslesen wird die Zeit manchmal schon fast zu knapp, bei all den Terminen, die ich wahrnehme.“
Wie ist Ihr Kontakt zu Ihrer Familie?
„Gestern fuhr ich noch mit meiner Tochter nach Mühlheim zum Geburtstag meiner Enkelin. Mit meiner Tochter unternehme ich sowieso recht viel. Das genieße ich sehr. Wir fahren häufig zum Kaffeetrinken in die nähere Umgebung und zu meinem Sohn nach Emsdetten. Oder ich besuche sie und ihre Familie in ihrem Zuhause. Das liegt drei Busstationen von der Tibus Residenz entfernt und so schaffe ich es noch alleine dorthin. Das Ulkige ist, dass meine Tochter mit ihren 76 Jahren unter den Bewohnerinnen der Tibus Residenz viele eigene Bekannte hat.
Der enge Kontakt zu meiner Familie war und ist mir sehr wichtig. Ich habe zu meinen beiden Kindern immer schon ein enges Verhältnis gehabt und zu meinen sechs Enkelkindern und 11 Urenkeln auch. Mein ältester Urenkel macht gerade Abitur und mein Jüngster ist vier Jahre alt. So habe ich wirklich alle Generationen um mich vereint. Das ist toll; es wird nie langweilig!“
Wie waren Ihre Kindheit und Ihre Zeit als junge Erwachsene?
„Ich bin als Einzelkind aufgewachsen. Das habe ich ein wenig bedauert; hatte aber trotzdem eine schöne Kindheit. Meine Mutter hat immer viel mit mir gespielt. Ich sehe mich noch in den 20iger Jahren mit meinem Puppenwagen und meiner Mutter gemeinsam durch die Parks in Halle flanieren. 1946 zog ich mit meiner Familie von Halle weg nach Schleswig Holstein, dann nach Bielefeld und schließlich 1953 nach Münster, da mein Mann hier eine Arbeit gefunden hat. Über 50 Jahre wohnte ich in Mauritz. Als meine Tochter als letztes Kind aus dem Haus ging, habe ich eine Stelle an der Uni Münster als Sekretärin angenommen. So konnte ich trotz langer Familienphase noch viele Jahre in meinem erlernten Beruf arbeiten. Ich blieb dort bis zur Rente.“
Wie erleben Sie Ihr Leben in der Tibus Residenz?
„1997 ist mein Mann ganz plötzlich verstorben und 2007 hatte ich einen Oberschenkelhalsbruch. Ich wohnte demzufolge alleine und konnte nach der OP nicht mehr zurück nach Hause. Deshalb zog ich in die Tibus Residenz. Ich wollte Sicherheit und neue Kontakte. Vom ersten Tag an habe ich mich hier sehr wohl gefühlt. Ich genieße es sehr, mich jeden Mittag im Restaurant an den gedeckten Tisch setzen zu können Die Service-Mitarbeiter sind mir im Laufe der Jahre richtig ans Herz gewachsen. Sie machen eine tolle Arbeit! Zudem liebe ich meine Wohnung und vor allen Dingen liebe ich meinen Balkon. Der ist für mich das Wichtigste, denn dort habe ich schon so viele laue Sommernächte genossen. Aber auch die Kontakte zu meinen Mitbewohnerinnen sind mir wichtig. Nach dem Mittagessen „tratsche“ ich gerne mit meinen Nachbarinnen auf dem Flur. Wir treffen uns fast täglich zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort – schräg gegenüber meiner Wohnungstür. Das ist für mich gelebte Nachbarschaft! Bedingt durch mein hohes Alter habe ich schon viele Freunde und Bekannte von früher verloren. Aber hier in der Residenz habe ich neue Bekanntschaften schließen können.”
Wie sehen Sie Ihre Zukunft?
“Ich möchte nicht pflegebedürftig werden. Das kann ich mir nicht vorstellen. Dafür bin ich nicht der Typ. Aber ganz ehrlich: Ich denke jetzt nicht so sehr darüber nach, was alles Schlimmes passieren könnte. Ich denke eher: „Was kann ich heute Schönes tun?“ So gesehen habe ich dann auch zum Grübeln gar keine Zeit. Ich lebe ganz einfach mehr in der Gegenwart, als in der Vergangenheit. So verpasse ich nicht die schönen Momente, die mir das Leben jeden Tag bietet.“
Ulrike Wünnemann
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