„Ich möchte keinen Tag hier missen!“
Diese Antwort gab mir Frau Dr. Mitschka, als ich sie nach ihrem Leben in der Tibus Residenz fragte. Sie zog im März 1993 in die Residenz und ist jetzt 25 Jahre Bewohnerin des Hauses.
Das hätte ich nie gedacht…
„Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so viele Jahre sein werden. Ich erinnere mich noch genau an die riesengroße Baustelle, die hier auf dem Gelände war. Mein Mann und ich haben die Bauentwicklung von der Melcherstraße aus beobachten können. Wir haben immer nur gestaunt. So ein gigantisches Projekt! Und dann sind wir tatsächlich im Erbauungsjahr hier eingezogen. Da waren noch gar nicht alle Häuser einzugsbereit. Meine Tochter hat uns damals gefragt, ob wir nicht lieber ins Grüne ziehen möchten. Aber wir wollten zentral in der Stadt bleiben. Die Lage der Tibus Residenz könnte nicht besser sein. Theater, Stadt – es ist alles so einfach zu erreichen.
Wie empfinden Sie das Leben in der Residenz?
„Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ein anständiges und nettes Verhältnis miteinander und strahlen das an jedem Tag im Jahr aus“ antwortet Frau Dr. Mitschka. Und Beate Wittkopf ergänzt: „Es ist beruhigend für mich als Tochter, wenn zum Beispiel nach einem Krankenhausaufenthalt viele Dinge neu geordnet werden müssen und dann Mitarbeiter des Hauses kommen und helfen und dabei so entspannt sind. Ganz plötzlich werde ich dann auch wieder viel ruhiger.“ „Ja, dieses Gefühl nicht alleine zu sein, das nimmt auch mir viel Angst in meinem Alltag. Es kann ja immer etwas passieren. Nicht alleine zu sein, das ist das Entscheidende. Dieses Gefühl entsteht aber nur, wenn insgesamt im Haus eine gute Atmosphäre ist. So wie hier in der Residenz. Jeder hat seine Aufgabe und ich habe das Gefühl, jeder wird in seiner Aufgabe wahr – und ernstgenommen. „Nein, das geht nicht!“ – diesen Satz habe ich hier noch nicht gehört. Hier herrscht ein freundlicher, zugewandter und respektvoller Ton. Für mich ist es ist die ideale Kombination von unabhängigem Wohnen, also dem Normalen, Vertrauten, und dem Hilfe bekommen, jederzeit, wenn es sein muss.
Was hat sich Ihrer Meinung nach in den 25 Jahren verändert?
„Die Tibus Residenz war und ist ein Vorreiter für alle anderen Senioreneinrichtungen. Das was uns hier geboten wird, wird dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend immer wieder neu angeglichen. Ich beziehe das nicht nur auf die kulturellen Angebote, sondern auch auf die immer wieder stattfindenden Veränderungen im Haus. Gerade wurde bei mir in der Wohnung ein neuer Brandmelder angebracht. Oder es werden Räume neu gestaltet, oder neue Betreuungsgruppen angeboten. Ich finde das prima! Es imponiert mir, dass das Haus sich immer weiterentwickelt.
Ich glaube, auch die Bewohnerschaft insgesamt hat sich in den letzten 25 Jahren ein wenig verändert. 25 Jahre ist ja sozusagen eine ganze Generation!
Es kommen mehr Frauen ins Haus, die früher berufstätig waren. Sie haben ganz andere Ansprüche, möchten mehr mitgestalten. So, wie meine verstorbene Freundin Prof. Dr. Viola Gräfin von Bethusy-Huc es immer getan hat. Damals aber war sie noch eine Ausnahme. Und die Männer, die sind damals nur mit ihrer Frau eingezogen. Und auch dann nur sehr verhalten. Das ist heute zum Glück anders. Es ist doch schön, dass nun auch viel mehr Herren bei uns wohnen.
Auch das Bild im Café Tibus hat sich ein wenig verändert. Heute trifft man sich dort zum Kartenspielen. Das gab es früher nicht. Da traf man sich zu einem gepflegten Tässchen Kaffee. Und, die Bewohner duzen sich schneller untereinander. So bekomme ich das zumindest aus der Ferne mit. Ich blieb mit meinen Freundinnen die ganzen Jahre über beim „Sie“. Denise Patzer, langjährige, persönliche Begleiterin von Frau Dr. Mitschka, auch seit 1993 dem Haus verbunden, ergänzt: „Im Fahrstuhl redet man jetzt mehr miteinander und kommt viel einfacher ins Gespräch als früher. Das Miteinander ist lockerer geworden. Das ist eine schöne Entwicklung.“
„In der Gesellschaft kommt zum Glück heutzutage immer mehr ins Bewusstsein, was im Alter wichtig und notwendig ist. Die Sensibilität für das Individuelle, zum Beispiel, die wächst. Veränderungen sind gut und nötig. An vielen Stellen muss man dafür das Gespür haben; muss aufspüren können, was genau jetzt notwendig ist oder notwendig sein wird. Das macht die Residenz in meinen Augen ganz hervorragend“, so Dr. Beate Mitschka.
Mein Leben heute
„Ich lebe jetzt zurückgezogener als vor zwanzig Jahren. Damals lebte mein Mann ja noch und ich hatte auch verschiedene Freundinnen hier im Haus gefunden. Das waren wichtige Freundschaften für mich. Wir konnten gegenseitig unsere Sorgen besprechen, ohne uns zu belasten. Wir haben oft abends lange zusammen gesessen und geredet. Das hat sich leider geändert, meine Freundinnen sind verstorben: sie haben mich zurückgelassen.
Für mich war es gut und richtig, dass ich schon mit 70 Jahren hier eingezogen bin. Was konnte ich da noch alles machen! Ich hatte damals so viel mehr Kraft und Energie zur Verfügung. Diese Energie ist heute nicht mehr da. Ich tue mich nicht mehr so leicht mit den verschiedenen Dingen. Es ist nicht nur die körperliche Kraft, die weniger wird. Es ist vor allem auch die Seelische: Ich kann nicht mehr so viel Neues in mich hineinlassen. Das betrifft selbst mein Leseverhalten. Vieles ist mir ganz einfach zu anstrengend. Jetzt muss ich mir oft selber einen Schubs geben, um noch etwas zu unternehmen. Ich bin ja schließlich auch 25 Jahre älter geworden.“ „Meine Mutter ist nach wie vor neugierig auf das Neue, das kommt. Sie wertet es nicht von vorneherein, sondern schätzt es. Das ist eine Gabe, die sie mir immer vorgelebt hat und die den Umgang mit Veränderungen viel einfacher macht“ sagt Beate Wittkopf.
Dr. Beate Mitschka, langjährig praktizierende Ärztin, ist ein Mensch, der Allen und Allem stets höflich und respektvoll begegnet. „Vielleicht hat das ein bisschen mit meiner Flucht zu tun. Ich bin im Frühjahr 1945 ganz alleine über das Riesengebirge nach Westen gewandert und war immer sehr dankbar, wenn mir geholfen wurde, auch wenn es eine Übernachtung im Schweinstall war. Diese von Herzen kommende Hilfsbereitschaft erfahren zu haben, hat mich natürlich auch geprägt.“
Es wundert nicht, dass Dr. Beate Mitschka überwiegend auf nette Menschen im Haus trifft. Letztendlich spiegeln diese ihr Verhalten.
Ulrike Wünnemann