Wer das Foyer der DKV-Residenz betritt, läuft direkt auf sie zu: Zwischen dem Eingang zur Caféteria und dem Treppenaufgang ist die bunte Domskulptur aufgestellt. Sie ist völlig unübersehbar, vor allem, wenn sie sich gerade dreht. Der Antrieb erfolgt über einen integrierten Motor; nicht ganz geräuschlos vor sich hinsurrend und dabei die fluoreszierenden neonfarbenen Plexiglastafeln im Uhrzeigersinn auf einem schwarz-weiß-gefelderten quadratischen Sockel dahinkreiseln lassend. Das sieht ganz schön modern aus: die Farbkontraste, die Kantigkeit, die Kinetik und der absolut strenge symmetrische Aufbau.
Um einen inneren Kern sind kreuzförmig vier „Pakete“ aus jeweils vier 0,7 Zentimeter dicken transparenten Acrylglasscheiben angeordnet. Abstandshalter sorgen für exakt 1 Zentimeter Luft zwischen den einzelnen Oberflächen. Die Farbfolge ist immer die gleiche: Orange, Dunkelblau, Rot und Hellgrün. Das hat zur Folge, dass die dunkleren Farben (Blau und Rot) von den helleren Farben (Orange und Grün) umschlossen werden. Die Scheiben sind sowohl transparent als auch spiegelnd. Die Kombination von Material und Bewegung bewirkt eine Verstärkung der Farbigkeit, die sich vor allem an den Kanten konzentriert und diese – ohne integrierte Beleuchtung – strahlen lässt. Ein genialer Effekt!
Da die Farbpakete orthogonal zueinander positioniert sind, stoßen im Kern immer Orange und Grün zusammen und erkennbar wird beim Einblick in die 90-Grand-Winkel eine Architektur: an den Flanken zwei hohe Türme mit spitz zulaufender Bedachung und ein ebensolches niedrigeres Dach im Zentrum. Rundbogenfenster und kleine Rundfenster mit einem Durchmesser von 3,5 Zentimeter sind ausgeschnitten und lassen den Betrachter „durchblicken“, denn wer sich in Münster auskennt, findet dort charakteristische Elemente des St.-Paulus-Doms, das Wahrzeichen der Stadt, wieder: die Anordnung der Rundbogenfenster in den Turmspitzen des Westwerks und die in der Nachkriegszeit neu gestalteten rosettenförmig angeordneten Rundfenster.
Bei dem beeindruckenden kinetischen Schauspiel wird schnell der plakative Unterbau mit dem flächigen Schwarz und Weiß übersehen, mit dem sich Dieter Sieger auf den Memphis-Style, einer Designrichtung aus den 1980er Jahren, bezieht. Es ist eine Hommage an die Memphis-Kunst, die von dem Künstler sehr geschätzt wird und die ihn vor allem mit seinem guten Freund, dem italienischen Designer und Memphis-Begründer Ettore Sattsoss, verbindet. Sieger verfügt über eine umfangreiche Sammlung von Memphis-Objekten, einer bunten, ästhetischen und nicht unbedingt zweckmäßigen Kunst, also das Gegenteil von „form follows function“ und somit ein Kontrapunkt zum funktionalen Bauhaus-Design. Und man fragt sich natürlich, wie funktional ist eigentlich ein grell-bunter Domstein aus Plastik, der fröhlich auf einer Säule rotiert? Ganz schön unfunktional! Das faszinierende Zusammenspiel von Farbe, Licht und geometrischer Linienführung soll einfach nur erfreuen; und das sogar mit Münster-Bezug.
Doch was ist überhaupt ein Domstein? Die „Domfreunde Münster e.V.“ überreichten der DKV-Residenz das Kunstobjekt am 11. August 2023 als Zeichen der Partnerschaft als Geschenk. Der Künstler entwirft seit 2008 für die Domfreunde diese Domsteine aus Acryl und auch solche aus Baumberger Sandstein. Das initial verwandte Material war also namensstiftend.
Sieger ist ein renommierter Allround-Künstler aus Münster mit internationalem Bekanntheitsgrad. Als Architekt, Innenarchitekt, Schiffsbauer, Sanitär- und Objektdesigner sowie Maler hat er zahlreiche Bauten, Werke, Objekte erschaffen. Er hat zahlreiche Design-Preise gewonnen und einige seiner Produkte und Entwürfe befinden sind in den Sammlungen von Museen in Essen, Stuttgart, München, London und auch ganz in der Nähe, im Stadtmuseum Münster. Dort ist unter anderem ein Set mit zwei Weingläsern, auf denen Annette von Droste-Hülshoff abgebildet ist, beherbergt. Im Übrigen kann auch im Eingangsbereich des Clemenshospitals ein Acryl-Domstein auf schwarz-weißem Sockel bestaunt werden. Also ist das Objekt in der Residenz gar kein Einzelstück? Doch! Lassen Sie sich überraschen! Birgit Lembeck
Künstler Dieter Sieger (* 1938 in Münster)
Objekt Domstein
Datierung 2023
Material Acrylglas LISA, Sperrholz lackiert
Abmessungen 195 x 60 x 60 cm
Standort Münster, DKV-Residenz am Tibusplatz
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